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Mit der eleganten Technik von früher zur "Königin der Nacht"
Frankfurter Allgemeine Zeitung (DEU) 22. Dezember 2001 S. 101, Rhein-Main-Zeitung, Rhein-Main-Sport
TRAUTHEIM. Man kann sich gut vorstellen, wie das ist, wenn sie nachts aufsteht, das zerzauste Haar nur notdürftig geordnet, durchs dunkle Haus huscht, um endlich im Atelier anzukommen. Licht an, Musik an, kurz die Gedanken ordnen - und dann taucht sie ein in ihre Welt aus Farben und Figuren. Es komme oft vor, sagt sie, daß sie solche nächtlichen Kreativschübe bekomme, nichts halte sie dann mehr im Bett. Es könne gut passieren, daß sie von ein Uhr nachts bis fünf Uhr am Morgen vor sich hin werkelt, allein mit sich und ihrer Arbeit, und dann erschöpft, aber zufrieden sich wieder schlafen legt.
Traudi Schulte-Beierlein saß schon als Schwimmerin am Beckenrand mit Block
und Stift.
Für Traudi Schulte ist dieses künstlerische Arbeiten ungemein intensiv, bisweilen auch auszehrend. Wenn etwas Neues entsteht, "dann ist das manchmal richtig schmerzlich", sagt sie, "dann habe ich Bauchweh und bin nicht ansprechbar, bis es fertig ist". Als Traudi Schulte einmal zu den besten deutschen Schwimmerinnen gehörte, unter ihrem Mädchennamen Beierlein nationale Rekorde schwamm und 1960 mit der Kraulstaffel Sechste bei den Olympischen Spielen von Tokio wurde, da hat sie sich nie so gequält. Oh ja, Traudi Beierlein, dieser Name stand für eine wunderbare, elegante Technik, für eine Wasserlage, über die man in Darmstadt heute noch schwärmt. Wer so ein Talent hat, schindet sich eben nicht gerne. Als man sich damals viermal in der Woche zum Training des DSW Darmstadt traf im kleinen Zentralbad, da wurde gerne geschummelt, der Trainer stand ja auf der anderen Seite des Beckens. Eine furchtbare Überwindung muß es damals für Traudi Schulte gewesen sein, als sie ihr Vereinskollege Hans-Joachim "Little" Klein im Olympiajahr dazu überredete, doch auch noch morgens zu trainieren. Ein halbes Jahr lang ging das gut, bis zu den Spielen, und dann war es auch genug. "Man kommt ja zu nichts anderem mehr", hat sie festgestellt.
Wahrscheinlich hätte Traudi Schulte im heutigen Leistungssport überhaupt keine Chance mehr, nicht wegen fehlenden Talents, sondern weil sie einfach diese zuweilen stupide Schinderei nicht mitmachen würde. Natürlich ging es auch in den sechziger Jahren nicht ohne Leistungsbereitschaft, und die hatte auch Traudi Schulte. Zum Glück. Denn wenn sie heute in ihrem Atelier in Trautheim arbeitet, "dann brauche ich das gleiche Durchhaltevermögen wie damals beim Schwimmen".
Seit ein paar Jahren bestimmt die Kunst quasi ihren Tag. Selbst das geliebte Kindertraining beim DSW hat sie aufgegeben, die ganze Zeit brauche sie für ihre Arbeit im Atelier. Dieser Schritt hatte einen langen Anlauf genommen, Malen und Zeichnen war immer die Passion von Traudi Schulte, schon als Aktive saß sie am Beckenrand mit Block und Stift. Später, als Trainerin, hatte sie immer Zeichenmaterial für die Kinder im Gepäck. Traudi Schulte hat sich mit den Jahren richtig hineingearbeitet in ihre Leidenschaft, sie hat bei Professor Bernd Prähauser in Österreich gelernt, mit Holz umzugehen, beim Tschechen Pawel Richtr das Malen und an der Technischen Universität Darmstadt hatte sie drei Jahre lang bei Ariel Ausländer eine Art inoffiziellen Gasthörerstatus, um malen und modellieren zu dürfen.
Sechzig Jahre alt ist Traudi Schulte im September geworden, von Ruhebedürftigkeit ist bei ihr aber nichts zu spüren. Kraft hat sie, als wolle sie die Wälder rund um Darmstadt verschönern. Angefangen hat sie im vorigen Jahr mit dem "Traaser Holzweg". Auf einer Strecke über vielleicht sechs Kilometer zwischen Darmstadt und Traisa hat sie neun liebevolle Plastiken geschaffen aus Baumstümpfen; die "Königin der Nacht" steht dort, das "Wildschweinpärchen" oder der "Erlkönig". Bei Wind und Wetter ist sie zu den Bäumen geradelt, hat gesägt und gehämmert, geflucht und gelacht - so lange, bis alles fertig war. Danach war sie krank vor Erschöpfung. Andere Förster haben aber schon bei ihr vorgesprochen, sie möge doch auch in deren Wäldern Hand anlegen. Für die Kunst, sagt Traudi Schulte, brauche sie mehr Disziplin. Früher habe ein Trainer immer gesagt, was zu tun ist, "heute bin ich allein für mich verantwortlich. Und das kostet manchmal viel Überwindung". Regelrecht Angst habe sie zuweilen, wenn sie ein Holzstück bearbeite, mit einem Schnitt, mit einem Schlag könne sie alles verderben, schließlich kann man ja nicht einfach wieder alles zusammenkleben und neu beginnen. Vielleicht ist deswegen die Kunst bei Traudi Schulte noch eine sehr persönliche Angelegenheit. Freilich, die Werke ihrer Acrylmalerei und vor allem die Holzplastiken finden ihre Abnehmer - aber gleich eine Ausstellung machen, sich um eine Galerie bemühen? "Das würde mir alles Zeit stehlen für meine Arbeit."
Ob sie nun eine Bildhauerin ist oder eine Malerin, kann sie gar nicht so genau beantworten. Eine Frage der Kraft sei es. Und weil sie im Moment noch viel körperliche Kraft in sich verspürt, Kraft, die sie benötigt, um Baumstümpfe zu bearbeiten mit einer Motorsäge, verschwendet sie eben dafür fast alle Energie. Aber wer weiß, wie alles kommt. Denn Traudi Schulte vermittelt den Eindruck, als habe sie soeben erst entdeckt, zu was sie fähig ist und welche Kraft in ihr steckt, wenn sich Talent mit Zielstrebigkeit vereint - ob am Tag oder in der Nacht.
STEFFEN GERTH
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